Hast Du schon einmal etwas von dem HELLP Syndrom oder überhaupt von einer Schwangerschaftsvergiftung gehört?
Wenn nicht, bist Du sicher in guter Gesellschaft. Viele Männer und auch sehr viele Frauen kennen sich damit gut aus. Dabei kann fundiertes Wissen darüber, wie Du das Hellp Syndrom erkennst, das Leben Deine Frau retten.
Ich freue mich heute über einen Gastbeitrag von Thomas Scholtyssek. Er berichtet von den Erfahrungen seiner Familie mit der schlimmen Erkrankung, wie sie damit umgegangen sind und was Du daraus lernen kannst.
Eigentlich wollte bzw. sollte ich als werdender Vater noch an dem einen oder anderen Partnerkursus inkl. Hechelübungen teilnehmen, auf die ich mich schon unheimlich freute. Auch die Einrichtung des zukünftigen Babyzimmers stand uns noch bevor, inklusive Kauf und Bestellung der passenden Möbel und Utensilien.
Die Geburt war für uns zu diesem Zeitpunkt gefühlt noch in ganz weiter Ferne, halt erst in ca. 8 Wochen.
Und dann kam der Tag der bei uns alles änderte bzw. auf dem Kopf stellte. Wir lagen gemütlich auf unserer Couch, waren zuvor noch kurz draußen im Kalten ein wenig zusammen Spazieren gegangen und wollten nun unseren Tee genießen. Es war ein völlig normaler Samstag Nachmittag. Meine Frau war ein paar Tage zuvor noch zu einer Kontrolluntersuchung bei ihrem Frauenarzt, augenscheinlich war bei ihr und dem Baby alles gut und normal. Wir brauchten uns lt. Arzt keine Gedanken machen, dass eventuell etwas unnormales auf uns zukommen könnte. Doch genau das passierte leider.
Auf einmal saß meine Frau senkrecht auf der Couch, wurde blass bekam Schweißausbrüche und sagte, dass irgendwas nicht stimmen würde. Sie beschrieb es vom Gefühl her nachträglich in etwa so, als wenn Sie einen Herzinfarkt- in Kombination mit einer Magendarmgrippe bekommen würde. Ihr Herz raste und sie bekam sehr kräftige Magenschmerzen. Auf telefonisches Anraten unserer Hebamme entschied ich mich meine Frau sofort ins Krankenhaus zu bringen. Hier beruhigte man uns zuerst. Momentan würde halt eine Magendarmgrippe umgehen. Ein wenig Kamillentee und Schlaf und am nächsten Tag würde es Frau und Baby wieder bestimmt richtig gut gehen.
In Nachhinein wissen wir, wenn wir der ersten Diagnose vertraut hätten und nach Hause gefahren wären, wäre die ganze Geschichte nicht gut ausgegangen. Wir hatten einfach Glück, dass die Diensthabende Ärztin meine Frau sicherheitshalber noch mal an den Wehenschreiber anschließen wollte. Und in jeder Minute die am Wehenschreiber verstrich ging es meiner Frau kontinuierlich schlechter und schlechter. Sie wurde dann vorsichtshalber zur Beobachtung im Krankenhaus behalten und ich nach Hause geschickt. Allerdings nicht für lange Zeit. Schon kurze Zeit später klingelte Zuhause das Telefon dass ich sofort zurück ins Krankenhaus kommen müsste. Meine Frau müsste notoperiert werden und das Kind müsste sofort geholt werden… Ich bin dann quasi aus dem Nichts so nebenbei Vater geworden, aber gar nicht so, wie ich mir das zuvor immer vorgestellt habe.
Ich saß alleine mitten in der Nacht auf der Wärmebank in irgendeinem Vorzimmer eines Krankenhauses und meine Frau wurde auf der Intensivstation nebenan notoperiert. Meine Frau erlitt lt. Aussage der Ärzte eine Schwangerschaftsvergiftung, aber nicht irgendeine, sondern eine der schlimmsten Formen! Das sogenannte HELLP Syndrom.
Was ist das HELLP Syndrom
Lange Zeit hat man das HELLP Syndrom als schwerste Komplikation einer Schwangerschaftsvergiftung (auch Gestose/Präeklampsie genannt) angesehen. Heute weiß man, dass es auch ohne vorherige Gestose-Symptome urplötzlich auftreten kann.
Es handelt sich dabei um einen Begriff, der 1982 durch Dr. Louis Weinstein an Hand nachfolgender Laborsymptome geprägt wurde:
H– Hämolysis Blutzerfall
EL– Erhöhte Leberwerte
LP– niedrige Thrombozytenzahlen = nachlassende Blutgerinnung
Es tritt ca. einmal bei 150 bis 300 Schwangerschaften auf. Das rein statistische Wiederholungsrisiko ist mit 5 bis 19 % angegeben. Das frühe Auftreten eines HELLP Syndroms (bis ca. 34. Woche) kann auf vorherige Erkrankungen oder gar genetische Einflüsse zurückzuführen sein. Hier stehen vor allem Erkrankungen des Immunsystem und Thromboseneigung im Verdacht. Diese sollten vor Eintritt einer neuen Schwangerschaft auf jeden Fall abgeklärt werden !
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der Gestose Frauen e.V.
Wie kann man das HELLP Syndrom erkennen
Die Symptome ähneln zuerst denen einer Magendarmgrippe und das macht die ganze Sache so heimtückisch. Meine Frau bekam damals ebenfalls ohne irgendwelche Vorwarnungen sehr starke Bauchschmerzen, verbunden mit erheblicher Übelkeit und Durchfall. Ihr Bauch fühlte sich jedoch schon seit ein paar Tagen gelegentlich ungewöhnlich hart an.
Dies würde ich nachträglich auch als Alarmsignal bewerten, was wir natürlich mit dem Wissen von damals nicht richtig einschätzen konnten.
Hier kommst Du ins Spiel
Als gut informierter, werdener Vater kannst Du eine Untersuchung den Blutdruck Deiner Frau im Verdachtsfall regelmäßig kontrollieren oder der Leberwerte veranlassen (HELLP-Labor) und damit umgehend Klarheit schaffen. Da das HELLP Syndrom vielfach so wenig bekannt ist, wird es oft nicht als erste Möglichkeit in Erwägung gezogen. Als Mann kannst Du die Ärzte bitten auch in diese Richtung zu untersuchen und so Deiner Frau und Deinem ungeborenen Kind das Leben retten.
Der Körper der Schwangeren vergiftet sich im Regelfall innerhalb kürzester Zeit – man sagt innerhalb von 24 Stunden – selbst, d.h. es bleibt nicht viel Zeit um zu handeln.
Was passiert wenn HELLP diagnostiziert wird
Wenn Die die zuvor beschrieben Anzeichen bei Deiner Frau bemerkst, solltet Ihr umgehend eine Klinik aufsuchen und nicht zögern. Dabei solltest Du möglichst eine größere Klinik aufsuchen, die mit der Erkennung und der Behandlung vermutlich eher vertraut sein werden. Durch die Entbindung wird auch der Verlauf des HELLP Syndroms nicht unterbrochen. Es dauert in der Regel drei bis vier Tage und wenn man recht schnell die Entbindung vornimmt, stellt sich der Höhepunkt erst nach der Geburt ein.
Man kann das Leben von Frau und Kind also nur retten, indem man sofort das Baby per Kaiserschnitt zur Welt holt, in unserem Fall in der 32. SSW, also 8 Wochen zu früh.
Nachsorge
Die ersten Tage nach der Not-OP, hat meine Frau auf der Intensivstation des Krankenhauses im Koma verbracht. Das Baby mit dem Namen „Marlon“ lag mit knapp 2.000 gramm in einem völlig anderen Krankenhaustrakt im Brutkasten. Marlon selbst hat meine Frau erst einige Zeit später sehen können. Eine schlimme Situation für die gesamte Familie, mit erheblichen Nachwirkungen für unser Leben. Die Ohnmacht bei mir als Vater kam etwas zeitversetzt, weil einem erst langsam klar wurde, wie übel die ganze Geschichte auch hätte ausgehen können und wie viel Glück wir in nach hinein gehabt haben.
Der Arzt im Krankenhaus hatte uns damals empfohlen, nachträgliche ärztliche psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Laut seiner damaligen Aussage können die psychischen Nachwirkungen über Jahre später noch bei der Frau auftreten. Das haben wir damals aber zuerst gar nicht ernst genommen. Das Kind hatte natürlich Priorität und wir wollten unsere Kräfte konzentrieren. Erst später ist uns Beiden aufgefallen, dass so etwas Erlebtes doch nicht so ohne weiteres wegzustecken ist.
Meine Frau ist eine starke Persönlichkeit und ich auch, aber wir sind nachträglich klar an unsere persönlichen Grenzen gekommen.
Ich selbst als Vater habe viele hilfreiche Informationen im Forum der Gestose-Frauen e.V. erhalten, welches ich allen Betroffenen nur ans Herzen legen möchte.
Generell kann ich anderen Vätern nur raten, zu versuchen, immer die Ruhe zu bewahren und alle Hilfe anzunehmen, die einem angeboten wird. Des Weiteren muss man gerade in der Zeit nach dem HELLP Syndrom unheimlich viel Verständnis für die Situation der Frau und Mutter aufbringen. Das ist zugegeben nicht immer einfach, weil man als Mann nicht alles nachvollziehen kann. Doch Kopf hoch, es kommen auch wieder bessere Zeiten.
Für Thomas und seine Familie ist die Sache noch mal glimpflich ausgegangen, weil sie an eine Ärztin geraten sind, die die Situation zum Glück richtig eingeschätzt hat. Seit dem hat Thomas es sich zur Aufgabe gemacht, das HELLP Syndrom bekannter zu machen.
Neben diesem Gastartikel hat Thomas zahlreiche Artikel veröffentlicht. Er hat über die Erlebnisse seiner Familie mit dem HELLP Syndrom ein Buch veröffentlicht „Achterbahn zum ersten Milchzahn-Vater werden“.
Das Buch erzählt seine persönliche Geschichte und beschreibt intensiv wie seine Frau und er auf die Idee gekommen sind, Eltern zu werden und natürlich werden auch die spannenden und nervenaufreibenden Monate nach der Geburt geschildert, inklusive vieler humorvoller Tipps für werdende Eltern.
In seinem zweiten Buch „Milchzahn die Zweite – Jetzt rede ich“ kommt sein kleiner Sohn Marlon zu Wort. Ein Elternratgeber mal von der anderen Seite. Mit jedem verkauften Exemplar dieses Buches stiftet der veröffentlichende Verlag Monika Fuchs 1 € für die Arbeitsgemeinschaft der Gestose Frauen e.V. um weiterhin das Thema HELLP Syndrom und Schwangerschaftsvergiftung bekannter zu machen.
Wenn Du an der Arbeit von Thomas interessiert bist, kannst Du ihm unter @tscholty auf Twitter folgen.
[…] http://papaonlinecom.wpengine.com/hellp-syndrom/ […]
Ich kann alles nachvollziehen, meine Frau hatte es auch! Viel Erfolg auch weiterhin.
Vielen Dank für diesen lebens-wichtigen Beitrag. Und man(n) hat wieder etwas dazu gelernt!
Hammer, was hab ich gerade eine Gänsehaut. Auf jeden Fall ein sehr teilenswerter Artikel für alle werdenden Papas.
Ich bin gerade dankbar, froh und glücklich das unsere drei Schwangerschaften und Geburten so reibungslos verlaufen sind.